Vor einem Jahr hatten die Ministerpräsident:innen der Länder beschlossen, Bezahlkarten für Asylsuchende einzuführen. Seitdem gab es eine gemeinsame Ausschreibung von 14 Bundesländern und jeweils eine eigene von Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Und vor allem: Klagen, Verzögerungen, Diskussionen und Streit auf vielen Ebenen.
Diese Problem-Meldungen wurden nun unterbrochen von der Botschaft: Bald wird es losgehen, die bundesweite Vergabe ist geschafft. Doch ein Ende der Querelen ist damit nicht in Sicht. Eine Übersicht, was bisher passiert ist.
Startschuss im Oktober 2023
Auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober 2023 einigten sich die Regierungschef:innen darauf, Bezahlkarten einführen zu wollen. Im November vereinbarten sie, dafür bundesweite Standards zu erarbeiten. Die wurden durch eine Arbeitsgruppe bis Ende Januar 2024 erstellt und waren die Basis für eine bundesweite Ausschreibung, die im Februar startete.
Währenddessen hatten bereits einige Landkreise und Städte eigenständig Bezahlkarten eingeführt. Als Beispiele tauchen hier immer wieder Hannover und Greiz auf. Während die niedersächsische Landeshauptstadt dabei eine weitgehend einschränkungslose Variante wählte, setzte das thüringische Greiz auf maximale Kontrolle über die Leistungsbezieher:innen.
Doch während mancherorts schon Bezahlkarten im Einsatz waren, stritten die Ampelparteien im Bund über notwendige Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz. Dort schrieben sie die Bezahlkarte neben Geld- und Sachleistungen als Möglichkeit fest, den Bedarf Asylsuchender zu decken. Im Gesetz steht aber auch: Wenn Bedarfe nicht durch Bezahlkarten gedeckt werden können, müssen sie als Geldleistungen ausgezahlt werden. Im April einigten sich die Parteien und der Entwurf ging durch Bundestag und Bundesrat.
Diskussionen übers Bargeld-Limit
Die Ministerpräsident:innen diskutierten derweil, wie viel Bargeld Asylsuchende mit den Karten noch abheben dürfen. 50 Euro pro volljähriger Person sollen es sein, beschloss die Konferenz der Länderchef:innen im Juni. Einstimmig war dieser Beschluss jedoch nicht: So gaben Thüringen, Bremen und Rheinland-Pfalz zu Protokoll, dass sie das starre Limit nicht für die beste Lösung halten.
Wie viel Geld Menschen mit den Bezahlkarten abheben können, ist nicht die einzige Beschränkung, die Verantwortlichen vorschwebt. Die ausgebenden Behörden können mit den Karten auch die räumliche Nutzbarkeit begrenzen, etwa auf den Wohnsitzlandkreis. In der Regel sind auch Überweisungen und Online-Käufe mit den Karten verboten und müssen einzeln von den Ämtern freigeschaltet werden.
Menschenrechtsverbände wie Pro Asyl kritisierten diese Beschränkungen von Beginn an als Einschränkung der Menschenwürde und Diskriminierung. Es gibt keine festen Belege dafür, dass die Gängelungen bei Sozialleistungen Flüchtende davon abhalten, nach Deutschland zu kommen. Doch das ist das immer wieder proklamierte Ziel von verantwortlichen Politiker:innen, die damit einen Law-and-Order-Kurs in der Asylpolitik bedienen.
Klagen vor Sozialgerichten
Stattdessen gefährden die eingeschränkten Karten das Existenzminimum für viele, die nun nicht mehr uneingeschränkt beispielsweise günstige Einkaufsmöglichkeiten auf Flohmärkten oder Kleinanzeigen-Portalen wahrnehmen können. Sie erschweren damit ebenso die Integration, wenn etwa eine Mitgliedschaft im Fußballverein an der Überweisung des monatlichen Beitrags zu scheitern droht.
Daher klagten mehrere Betroffene gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Pro Asyl vor mehreren Sozialgerichten in Deutschland. Die Entscheidungen in den Hauptverfahren stehen noch an, doch mehrere Eilverfahren waren erfolgreich: Die pauschalen Limits ließen sich im Fall der Kläger:innen nicht rechtfertigen und müssen auf individueller Basis beurteilt werden.
Das ist leicht nachvollziehbar: Eine Familie, die ein weiteres Kind erwartet, hat offenkundig einen anderen Bargeldbedarf als eine alleinstehende Person ohne besondere Herausforderungen. Wenn nun aber bei jeder Bezahlkarte das Bargeld-Limit per Einzelfallprüfung bestimmt werden muss, fällt eines der Argumente für die Karten – eine Entlastung der zuständigen Ämter – vollständig weg.
Die Ausschreibung stockt
Ungeachtet der politischen Diskussion und der Gerichtsurteile lief die Ausschreibung weiter. Der Zuschlag sollte ursprünglich im Juli erteilt werden, doch es kam zu Nachprüfungsverfahren. Unterlegene Bieter hatten Einspruch eingelegt. Das wies die zuständige Vergabekammer in Karlsruhe im August zwar zurück, doch der Prozess eskalierte daraufhin zum baden-württembergischen Oberlandesgericht.
Die dort anhängige Beschwerde wird nun am 18. Oktober verhandelt, aber in der Zwischenzeit konnte dennoch der Zuschlag erteilt werden. Das liegt daran, dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde endete und das Gericht einen entsprechenden Verlängerungsantrag ablehnte. Damit steht fest: Die Unternehmen rund um die „SocialCard“ bekommen den Auftrag.
Für die Beschwerdeführer der unterlegenen Firma PayCenter geht es also bei dem Verfahren lediglich noch um Schadensersatz – falls sie Erfolg haben sollten. Ist das Karten-Chaos damit beendet?
Der Vergabe-Streit geht weiter
Das ist nicht abzusehen. In seiner Pressemitteilung zur Vergabe wies PayCenter auf ein weiteres mögliches Problem hin und nannte den bundesweiten Rahmenvertrag einen „Bärendienst für die Kommunen“. Denn die sind für die Einführung zuständig. Sie dürften jedoch, so die Auffassung des Unternehmens, die Leistung gar nicht abrufen.
In der Auftragsbekanntmachung stünden vor allem die 14 Bundesländer, die sich zusammengetan haben. Doch da in der Regel die Kommunen die Karten einführen, müssten diese explizit benannt sein. Sind sie aber nicht, so PayCenter. Es ist also möglich, dass weitere Klagen drohen, um eine entsprechende Vergabe an einführungswillige Kommunen zu verhindern.
Doch wie sehen die Städte und Kreise die Vergabe nun überhaupt? Wir haben bei mehreren Kommunen nachgefragt, die bereits vor der Entscheidung für die SocialCard Bezahlkarten anderer Anbieter eingeführt hatten, und wollten wissen, ob sie nun auf eine möglicherweise einheitliche Lösung umsteigen werden.
Kein Umstiegswille von Kommunen
Eine Absage dafür kam aus dem brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland. Dort funktioniere alles mit dem bisherigen System, sagte der stellvertretende Landrat Friedemann Hanke gegenüber netzpolitik.org. Außerdem habe man sich bei der eigenen Beschaffung sowieso an den bundesweiten Standards orientiert. Einen Anlass, etwas zu ändern, sehe er daher nicht.
In Gera antwortete die Stadtverwaltung schriftlich ebenfalls, dass für die Stadt keine Notwendigkeit bestehe, den Dienstleister für Bezahlkarten zu wechseln. „Sollte es eine verbindliche, rechtskräftige Anweisung von Bund oder Land geben, besteht für uns jederzeit die Möglichkeit, den bestehenden Vertrag kurzfristig zu kündigen“, so eine Sprecherin. Abwarten will man auch in Bautzen. Derzeit sei nur der Name des neuen Anbieters bekannt und man könne daher noch nichts dazu sagen.
Eine Arbeitsgruppe der Länder will sich am 11. Oktober treffen, um die Einführung weiter zu besprechen. Doch bei den Kommunen, die noch keine eigenen Lösungen umgesetzt hatten, ist eine einheitliche Lösung nicht zu erwarten. Es ist zum einen unwahrscheinlich, dass überhaupt alle auf Bezahlkarten umsteigen wollen.
Unsicherheit und Aufwand
Nach den öffentlichen Diskussionen und ersten Sozialgerichtsentscheidungen wankt außerdem die Bargeldgrenze, verbunden mit dem drohenden Verwaltungsaufwand individueller Entscheidungen. So will nun etwa die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam nach anfänglichen Zweifeln zwar doch die Bezahlkarten nutzen, jedoch vermutlich mehr Bargeld zur Verfügung stellen – auch als Reaktion auf die bisherigen Gerichtsentscheidungen. In einem Beschlussvorschlag dazu heißt es jedoch noch: „Die Rechtsentwicklung inklusive der daraus resultierenden Rechtsbindung der Kommunen bleibt abzuwarten.“
Auch wenn nun also ein gewünschter Anbieter für 14 deutsche Bundesländer feststeht: Ein Ende der gesellschaftlichen, politischen und juristischen Kämpfe um die Bezahlkarten ist damit noch lange nicht in Sicht.
0 Ergänzungen